Rückkehr
Heimkommen.
Irgendwo blüht die Blume des Abschieds und streut immerfort Blütenstaub den wir atmen herüber, und auch noch im kommendsten Wind atmen wir Abschied.
Rainer Maria Rilke
Keine Rückkehr ohne einen Abschied.
Ich erinnere mich ganz klar an eine Situation. Eine gute Bekannte von mir ist von der Insel gegangen. Schade, aber so ist es halt. Ich war noch relativ neu hier. Die erste Situation, in der nicht ich es war, die einen Ort verlassen hat, sondern jemand anderes. Wir waren nicht super eng, aber vor allem am Anfang, als ich mich hier noch neu und nicht total angekommen gefühlt habe, war das schon ein gewisser Schlag in die Magengrube. Sie hat sich total nett verabschiedet und wir sind auch ab und an in Kontakt geblieben.
Sie hat ihre Freund*innen, Kolleg*innen und Bekannte eingeladen, sie zum Hafen zu bringen und zu verabschieden. Das war für mich eine neue Art des Abschieds. Normalerweise, so kenne ich das zumindest, genießt man einen letzten entspannten Abend zusammen und dann geht man seiner Wege. Den Umzug, das Weggehen, erledigt man dann alleine. Aber in ihrem Fall war es ganz normal und vollkommen natürlich, am Hafen den Abschied zu markieren.
Und, jetzt, ein paar Abschiede später, macht das total Sinn für mich.
Der Hafen ist – wenig überraschend, wenn man ehrlich ist – DAS Symbol für Abschiede. Aber auch für die Rückkehr. Aber keine Rückkehr ohne einen Abschied.
Wenn ich nun zum Hafen gehe – zumindest, wenn ich alleine unterwegs bin –, besticht mich ein leises Gefühl von Abschied und Melancholie, auch wenn ich weiß, dass ich nur für eine kurze Zeit weg bin. Das hat der Hafen für mich so an sich. Zu viele Abschiede am Hafen habe ich bewusst vermieden, als dass der Hafen mit seiner Geschäftigkeit, mit seinem Trubel und seinen Geräuschen nicht irgendwie immer für mich mit Abschieden von Freund*innen verbunden sein wird.
Bittersüß.
Es wird oft gesagt, dass Abschiede bittersüß sind. Das heißt, sie haben etwas Gutes und etwas Schlechtes an sich. Gut sind wohl die kommenden Chancen, die Perspektive auf die Zukunft, die Verheißung, dass sich ein Fenster öffnet, wenn sich eine Tür schließt oder so ähnlich. Schlecht ist natürlich die Melancholie, die Erinnerung an die Vergangenheit und der Abschied mit einem Abschnitt des eigenen Lebens, der damit einhergeht. Auf der einen Seite ist also die Zukunft und auf der anderen Seite ist die Vergangenheit.
Heimkehr und Abschied auf Juist: Der Hafen.
Der Hafen auf Juist hat schon so einiges hinter sich.
Genau genommen besteht der Hafen aus mehreren Teilen:
- Dem Anleger, dem Terminal / Hafenbetriebsgebäude und dem Vorplatz, der für An- und Abreise der Inselfähre gedacht ist
- Dem Anleger, dem Areal und dem Platz, der für die Inselfrachter, die Spedition und die Großhändler ausgelegt ist
- Den Anlegern und den Wartecontainern der Schnellboote
- Dem Areal des Segelklubs und dem Yachthafen
Auch die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger hat hier am Hafen ihr Zuhause und einen Anleger. Du siehst also: Der Hafen ist viel mehr als „nur“ Ort des Ankommens und des Abfahrens. Der Hafen ist Zuhause für Urlauber*innen, Lebensader für Lebensmittel, Getränke und alle möglichen Anderen Produkte, die hier umgeschlagen werden. Der Hafen ist aber auch ein Bereich der Sicherheit, denn die Retter kümmern sich um Notfälle auf dem Wattenmeer und zwar vom Hafen aus.
1980 wurde mit den Bauarbeiten des Hafens an der heute bekannten Stelle begonnen, die zwei Jahre dauern sollten. 1982 fuhr dann die Inselbahn das letzte Mal vom alten Hafen mitten im Wattenmeer zum Anleger im Ort (dem Alten Bahnhof). 1984 wurde dann das Hafenbetriebsgebäude fertig gestellt. Eine ganze Weile wurden dann keine großen Bauarbeiten am Hafen mehr durchgeführt, bis 2007 bis 2008 die Seebrücke, das Seezeichen und der Yachthafen gebaut wurde.
Für mich ist das Hafen aber noch aus einem anderen Grund besonders. Eine Sache macht den Juister Hafen in meinen Augen zu einem ganz besonderen Ort: Der Hafen war nicht immer an dieser Stelle, wo er heute zu finden ist, so nah am Ort. Nein, der Juister Hafen war früher weiter am Ende der Insel, danach mitten auf dem Wattenmeer und dann musste / durfte man in die Inselbahn, um übers Wattenmeer zu fahren, erst mit der Pferdekutsche, dann mit einer motorisierten Bahn. Dann wurde der Hafen aber direkt an den Ort verlegt. Praktisch, denn dann ist der Weg nicht so weit. Aber gleichzeitig auch super unpraktisch, denn durch die Strömungen und die am Ende doch immer obsiegende Natur kommt es, dass der Hafen versandet. So muss er regelmäßig ausgebaggert werden.
Ein seltsamer Gedanke, wenn man ehrlich ist. Der Hafen liegt an einem Punkt, der regelmäßige Pflege notwendig macht, nicht an einem Punkt, der praktisch wäre. Das macht ihn in meinen Augen besonders. Man hat sich bewusst dafür entschieden, Aufwand zu betreiben, um den Hafen näher an den Ort zu holen. Sicherlich war eines der Hauptargumente, dass die Anreise für die Gäste dann einfacher wäre und die Inselfrachter einen kürzeren Weg hätten. Denke ich. Finanzielle Argumente. Aber ich möchte mir gerne vorstellen, dass auch der Gedanke, dass eine Rückkehr und ein Abschied so nah am Herzen der Insel, dem Dorf und am normalen Leben spielen. Für mich fühlt es sich an, als würde der Hafen mit seiner Anreisefreude und seinem Abschiedsschmerz ein Teil des täglichen Lebens sein, eine Verbundenheit zwischen Vergangenheit und Zukunft.
Der Hafen auf Juist: Rückkehr.
You say, „Goodbye“ and I say, „Hello, hello, hello“
The Beatles – „Hello, Goodbye“
I don’t know why you say, „Goodbye“, I say, „Hello, hello, hello“.
Es fällt mir nicht immer leicht, zurückzukommen auf die Insel. Sitze ich auf der Fähre, vergeht die Zeit so langsam. Ich freue mich auf das Ablegen in Norddeich und das Anlegen auf Juist, gleichzeitig habe ich ein wenig Hemmungen, wenn es denn so weit ist und der Hafen in Sicht kommt.
Der Hafen – Ja, er ist einfach ein Symbol. Er ist der freudige Anblick übers Nach-Hause-Kommen, aber er ist auch der ewige Begleiter, wenn jemand geht, den man ins Herz geschlossen hat.
Bittersüß ist er, der Hafen für mich.
Das vertraute und dennoch irgendwie nicht auf die Insel passende Geräusch des Treckers, der die Koffercontainer zieht. Das Rattern der Kofferrollen, der Handkarren, das Rascheln der Regenjacken, das Rauschen der Rücksäcke auf dem Rücken. Das Gemurmel so vieler Stimmen, die alle von Melancholie getrieben sind, weil die Juist-Zeit endet.
Der Geruch nach Diesel, mit dem die Fähren fahren. Der Geruch nach Wattenmeer, der ganz anders ist, wenn Hochwasser ist, als wenn Niedrigwasser herrscht. Der leichte Geruch nach was auch immer, wenn man durch das Terminal auf die Fähre geht. Der Geruch nach Pferden, wenn die Kutschen schon am Hafen auf die Anreisenden warten.
Der Anblick, wenn die Sonne über das Gebäude scheint, wenn die Schlange sich bildet und die Leute anstehen, wenn die Fähre ganz sanft auf den Wellen schaukelt, wenn sie ablegt oder einfährt in den Hafen, wenn sie das Seezeichen passiert und einfach alles nach Idylle und heiler Welt aussieht.
Fahre in die Welt hinaus. Sie
Ray Bradbury
ist fantastischer als jeder Traum.
Rückkehr. Heimkehr.
Nach all diesen Gedanken zum Abschied folgt natürlich noch die andere Seite der Medaille.
Die Rückkehr. Oftmals ungewollt, oftmals aber auch mit Sehnsucht herbeigefiebert.
Und auch die Rückkehr spürt man, finde ich, wie kaum woanders direkt am Hafen. An diesem Nadelöhr. Hier, wo Rückkehr und Abschied aufeinanderprallen, wo Emotionen einfach losgelassen werden. Wo wir plötzlich emotional werden, ohne sonst besonders gefühlsbetont zu sein.
Der Hafen hat etwas an sich. Er ist nicht einfach nur ein Ort. Er ist ein Schmelztiegel. Hier kommen die verschiedensten Menschen mit den verschiedensten Ansichten, Gefühlen und Absichten zusammen. Der Hafen ist ein Durchgangstor, ein Katalysator für Abschiede und Rückkehr, für Melancholie und Perspektiven. Der Hafen vereint auf eine seltsame, aber unvergessliche Weise die Gedanken an die Zukunft und die Erinnerungen an die Vergangenheit. Er ist das, was wir als stetigen Wandel bezeichnen – von seiner Lage her, aber auch von seiner Natur als Hafen, denn die Gezeiten und die Menschen bilden zu jeder Zeit ein anderes Bild ab. Und das ist doch die Magie dahinter: Der Hafen ist nicht nur Abschied und nicht nur Rückkehr, sondern beides und noch viel mehr.
Schluss.
Du siehst also: Die Abschiede auf der Insel sind bittersüß. Und das hat nicht nur mit dem Hafen zu tun, diesem Ort zwischen zwei Orten. Es hat damit zu tun, dass wir alle uns im Leben ständig fortbewegen. Wir ändern uns und gleichzeitig sind wir immer miteinander verbunden, wenn auch nur für eine kurze Zeit. Wir als Menschen sind Wesen zwischen Zukunft und Vergangenheit, zwischen hier und dort. Zwischen Rückkehr und Aufbruch.
Na ja, also Abschied ist auch aufm Schiff die Musik zu hören, wenn auch leider nicht auf allen. . . .
Zumindest steigert das die Sehnsucht auf ein „Hier will ich wieder mal hin“.
Auch wenn die Insel sich stark zum Negativ Image „Sylt“ „Teuer“ und „Schicki Micki“ gewandelt hat in den letzten Jahren.
Juist heißt für mich auch immer ein Stück Heimkommen- wir sind schon seit Jahrzehnten immer wieder auf dieser wunderbaren Insel und sobald wir auf der Fähre sind, fällt die Hektik ab und die Entschleunigung beginnt – sofort….
Heimkommen nach Juist bedeutet für uns – nach Hause kommen ins zweites Zuhause, an den Ort unserer Liebe und unseres JA Wortes ♡
Meine Frau und ich werden dieses Jahr Silvester wieder auf „unserer Töwerland“ zurückkommen und an unsere schönen Momente der Hochzeit zurück fühlen.
Das ist ein so unglaublich schön geschriebener Text. Vielen Dank
Das Ankommen auf Juist ist für mich immer ein Heimkommen. Seit mehr als 40 Jahren fahre ich regelmäßig nach Juist. Beim Abschied immer mit Tränen in den Augen, aber mit dem Wissen: Ich komme bald zurück.
Juist ist meine Herzensheimat und jeder kleine Weg oder Pfad ist so vertraut.
Ja, es stimmt, es ist in den letzten Jahren viel Schockimicki dazugekommen und vieles ist unglaublich teuer geworden. Das ist schade , aber das versuche ich auszublenden.
Ich freue mich auf jede Rückkehr nach Juist und ich nehme bewusst nur die Inselfähre. Da beginnt das Heimkommen und der Abschied bei der Rückfahrt dauert länger, weil Juist einen noch ein ganzes Stück begleitet.
Heimkommen auf Juist, das ist für mich über 50 Jahre dort ankommen, wo die Zeit ein wenig stehen bleibt, wo meine Kindheit zurückkehrt und wo meine Familie und ich am glücklichsten auf der ganzen Welt sind. Juist vererbt man, das Gen gibt man weiter und es verbindet somit über Jahrzehnte. Das ist ein Gefühl von Heimat.