Die Wirkung der Gezeiten auf uns alle.
Ebbe und Flut sind mehr als ein regelmäßiges spannendes Phänomen. Sie haben weitaus mehr Einfluss auf die Natur und den Menschen, als man meinen mag.
Was wäre Juist, was wäre die Nordsee, ohne ihre Gezeiten?
Unsere Blue Mind Artikel deuten es an. Das Meer mit all seinen Facetten hat nicht nur gefühlten Einfluss auf unser Leben und Erleben.
Gezeiten bestimmen Lebensrhythmen von Tieren. Das Nass- und Trockenfallen des Ökosystems Wattenmeer ist für viele Lebewesen Lebensgrundlage. Es gibt Kieselalgen, die nur bei Ebbe an die Sandoberfläche kommen. Dort stellen sie mithilfe des Sonnenlichts lebensnotwendige Nährstoffe her. Kommt die Flut, vergraben sie sich wieder, um nicht weggespült zu werden. Schlau!
Die Gezeiten haben auch Einfluss auf die Tageslänge und die Rotationsgeschwindigkeit unserer Erde. Dazu bald mehr.
Dann stieß ich vor kurzem auf diese Frage: Sind wir bei Flut leichter als bei Ebbe?
Im ersten Moment tat ich diese Frage ab. Warum sollten wir leichter sein? Sind die Gezeiten eine Art Fitnesscoach? Und wirkt das auch beim Tauchen? In der Stille unter der Wasseroberfläche?
Natürlich nicht. Und dennoch lässt sich die Frage sowohl mit einem klaren Ja als auch mit einem unklaren Nein beantworten. Wie so oft im Leben!
Heute geht es also nicht darum, wie uns das Meer im Sinnen des Blue Mind glücklich macht, sondern leichter. Und das ganz im Sinne der Physik.
Mache dich bereit für 5 Minuten Angeber*innenwissen!
Sind wir bei Flut leichter als bei Ebbe?
Gleich vorab: Den Gewichtsunterschied wirst du auf einer handelsüblichen Badezimmerwaage nicht bemerken. Hast du aber eine ultrapräzise Waage, kannst du den Unterschied bei Hochwasser feststellen. Die würde anzeigen, dass du bei Flut um etwa 0,2 Millionstel leichter geworden bist. Bei einem Menschen, der 100 kg wiegt, wären das ganze 20 Milligramm weniger.
Du merkst schon. Das ist nicht sehr viel. Und bei der nächsten Ebbe sind diese 20 Milligramm wieder “drauf”. So unscheinbar diese Veränderung zu sein scheint, so spannend finde ich sie.
“Schuld” an dem Phänomen sind die Anziehungskräfte von Mond und die Erde.
Der Mond als Grund für Ebbe und Flut
Dem Mond (und auch der Sonne) haben wir maßgeblich die Gezeiten zu verdanken, also das sehr regelmäßige Auf und Ab des Wassers. Flut und Ebbe entstehen durch deren Anziehungskraft. Während sich die Erde dreht, bewirkt das Schwerefeld des Mondes (das bis zur Erde reicht), dass die Wassermassen auf der Erde in Richtung Mond gezogen werden. Das Gesetz der Schwerkraft sagt auch, dass ein Objekt stärker angezogen wird, je näher es an dem Gravitationsobjekt ist. Heißt: Die Seite der Erde, die dem Mond zugewandt ist, wird stärker beeinflusst.
Das ist soweit bekannt.
Wusstest du aber auch, dass der Mond nicht nur das Meerwasser hebt, sondern auch das Festland hebt? Das liegt daran, dass die Schwerkraft des Mondes auch an der Erdkruste zerrt und diese verformt. Die Erde ist keine starre Steinkugel. Unter der recht dünnen Erdkruste befinden sich eher weiche Schichten, darunter zähflüssiges Magma. Eisen und Nickel sind im Erdkern. Alles also recht dehnbar.
Bei Flut also wirkt die Anziehungskraft des Mondes, die dazu führt, dass sich auch der Boden unter unseren Füßen hebt. Täglich um circa 30 – 40 Zentimeter.
Wir merken das nicht. Zum Glück.
Bei Flut sind wir somit um die 30 Zentimeter weiter vom Erdmittelpunkt entfernt als bei Ebbe. Dafür auch um die 30 Zentimeter dichter am Mond.
Und das ca. alle sechs Stunden.
Das merken wir uns.
Die Erdanziehungskraft, die uns am Boden hält
Die Erdanziehungskraft ist die Kraft, die alle Massen auf der Erde anzieht (Objekte, Menschen und Atmosphäre).
Je weiter wir vom Erdmittelpunkt entfernt sind, desto geringer wirkt die Schwerkraft der Erde. Auch hier wirkt die Gravitation. Springst du in die Luft, bist du kurz danach wieder auf dem Boden. Eben wegen jener Erdanziehungskraft. Gäbe es diese nicht, würdest du ins All schweben.
Der Mond zerrt, die Erde hält
Jetzt führen wir beide Wirkungen zusammen.
Der Mond zerrt an der Erde, Wasser und Erdkruste werden angezogen (Mondgraviation).
Dem entgegen wirkt die Anziehung der Erde. Je weiter wir vom Erdkern entfernt sind, desto weniger wirkt die Gravitation der Erde auf uns. Wir heben uns mit der Erdkruste. Und sind somit näher am Mond, seine Wirkung wirkt (theoretisch) stärker auf uns. Der Mond “zerrt” also an uns, wenn wir auf der ihm zugewandten Seite sind. Die Anziehung der Erde wirkt dadurch auf uns ein bisschen weniger. Wir sind ja circa 30 Zentimeter weiter weg vom anziehenden Erdkern.
Oder anders: Mond und Erde “reißen” sich förmlich um uns.
Bis zum Mittelpunkt der Erde sind es rund 6.000 Kilometer. Die 30-40 Zentimeter machen da in Sachen Anziehungskraft wenig aus. Wir spüren das Heben und Senken nicht. Berechnungen besagen, dass der maximal halbe Meter, um den wir uns täglich heben und senken, im Verhältnis dazu nur etwa ein Zehnmillionstel beim Gewicht ausmachen.
Das bedeutet: Bei Flut sind wir im Schnitt etwa ein Zehnmillionstel leichter als bei Ebbe. Viel ist das nicht. Und: Bei unserer Kleidung wird sich das verlorene” Gewicht nicht bemerkbar machen.
Du wirst zwar leichter, nicht aber deine Körpermasse.
Gewicht, Masse und die Gezeiten
In der Physik unterscheiden wir zwischen Gewicht (wird in Newton N angegeben) und Masse (wird in Kilogramm angegeben). Bei Flut ändert sich nicht unsere Masse (sorry!), nur das Gewicht. Also: Wie stark wirst du von der Erde angezogen (ganz vereinfacht gesagt)?
Diese Gewichtskraft ist eine sogenannte gerichtete Größe. Sie wirkt auf der Erde in Richtung des Erdmittelpunkts.
In einem Satz lässt sich unsere kleine Gezeiten-Physistunde also so zusammenfassen: Der Mond bewirkt die Flut, damit auch das Anheben der Erdkruste und mit ihr werden auch wir in Richtung des Mondes gezogen, wodurch wir uns vom Erdkern entfernen, der uns zu sich zieht (aber eben weniger). Damit haben wir weniger Gewicht, das uns auf den Boden zieht. Das alles ist aber nicht spürbar.