Gestrandet sein.
Angestrandet.
Die Wahl für die Person, mit der ich über Strandungen sprechen wollte, war mir ganz klar. Es musste der Nationalpark-Ranger sein. Warum? Weil er mir einfällt, wenn es um Meeresmüll, gestrandete Wale oder sonst welche Funde am Strand geht. Wenn jemand ein Experte rund um Strandungen und Strandfunde auf Juist ist, dann unser Ranger. Heute möchte ich gemeinsam mit Markus einen Blick auf die Strandungen werfen, die hier auf Juist vorkommen, auf ihre Auswirkungen und ihre Bedeutung für die Natur der Insel.
Strandungen auf Juist: Über Strandfunde auf Juist.
Walstrandungen auf Juist.
Juist war schon der Schauplatz verschiedenster Strandungen und Strandfunde. Da war Waltraud, die Zwergwal-Dame, die 2001 angespült wurde, und fast seitdem im und mittlerweile vor dem Nationalpark-Haus ihre Heimat gefunden hat.
Dann war da der Finnwal, der am Kalfamer angespült wurde und der dort seitdem liegt. Halb versandet, entfernt vom Weg, der Ort nicht vielen bekannt. Für diejenigen, die gerade kein Bild vor Augen haben – Ein Finnwal wird bis zu 20 m lang und bis zu 48 t (!) schwer. 2012 wurde ein 8 m langer Finnwal am Kalfamer angespült.
Die Schweinswale, die immer mal wieder auf Juist stranden, sind kein so bahnbrechender Fund, kommen sie doch auf natürliche Weise im Wattenmeer vor. Als heimische Tiere stehen sie schon im Fokus und werden oftmals zur Seehundstation in Norddeich verbracht, um sie zu untersuchen. Ein Schweinswal wird zum Zeitpunkt, als ich mit Markus spreche, gerade präpariert und soll zu Waltraud in die „Walbehausung“ vor dem Nationalpark-Haus ziehen. Alternativ nennt man den Container vielleicht in Zukunft auch „Walheimat“ – allerdings ohne „h“.
Ich frage Markus, ob es ein Zeichen ist, dass Wale, die ja eigentlich nichts im Wattenmeer zu suchen haben, hier stranden. Er überlegt kurz. „Nein“, sagt er, „wenn es jetzt fünfzig Tiere pro Jahr wären, dann würden wir natürlich aktiv werden“. Das ist natürlich übertrieben dargestellt, aber ich verstehe, was er meint.
Mal kann ein Zufall passieren und ein Wal strandet. Ist schlimm für das Tier, aber die Natur selbst stört sich nicht weiter daran. Wale können ins Wattenmeer gelangen, zum Beispiel, wenn sie ihren Weg verlieren, weil sie durch Lärm gestört werden oder aus diversen anderen Gründen. Genau nachvollziehen kann man das meist nicht.
Grindwal-Strandung auf Juist.
Markus erzählt mir auch von zwei Grindwalen, die 2019, kurz nach dem er seinen Dienst auf Juist aufgenommen hat, angespült wurden. Einer dieser ca. 2 Tonnen (!) schweren und über 5 m langen Tiere hat sein neues Zuhause auf unserer Nachbarinsel Borkum gefunden. Die Mägen der Tiere waren übrigens komplett leer. Also sind sie wohl leider verhungert. Markus sagt, man vermutet, sie seien wohl „falsch abgebogen“ und dann über Umwege auf Juist gelandet. Zwei weitere Grindwale (wahrscheinlich aus der gleichen Gruppe, wie die beiden, die auf Juist verendet sind) sind nicht weit von Juist entfernt gestrandet.
Weitere Strandungen auf Juist.
Nur, wenn man die Natur versteht und kennt, kann man sie lieben und damit auch schützen.
Auch besonders ist es, wenn ein Seepferdchen oder ein Mondfisch auf Juist gefunden werden, die hier gestrandet sind. Denn eigentlich kommen beide Arten so nicht unbedingt hier vor. Markus behält das im Blick. Der Mondfisch wurde konserviert und nach Oldenburg gebracht.
Auch ein angespülter toter Seehund ist nichts Ungewöhnliches, weder hier, noch auf den anderen Inseln oder an den anderen Orten an der Küste. Leben und Tod gehören zusammen.
Markus erklärt mir schon zu Beginn das Motto der Nationalpark-Verwaltung „Natur Natur sein lassen“ und das ist ein Credo, das er auch immer wieder innerhalb unseres Gespräches aufbringt. Um „Natur Natur sein zu lassen“ bleiben die Walkadaver am Strand liegen. Denn diese toten Tiere – so schade es um sie auch ist –, sind ein Bestandteil des natürlichen Systems Juist. An toten Schweinswalen laben sich beispielsweise Krähen oder Dohlen. Ist kein schöner Anblick, gehört aber zum Leben nun mal dazu. Um sicherzugehen, dass die Strandungen toter Tiere kein Symptom für Schlimmeres sind, betreibt die Nationalpark-Verwaltung eine Datenbank über solche Funde, und behält die Zahlen genau im Blick.
Ich frage Markus, ob es da nicht ein gewisses Konfliktpotential gibt. In meinem Urlaub möchte ich nicht unbedingt tote Tiere am Strand sehen. Er zeigt ein gewisses Verständnis, bleibt aber dabei, dass Leben und Tod zusammengehören. Das sorgt natürlich mal für Ärger bei Gästen, aber er hat damit gute Erfahrungen gemacht, den Menschen zu erklären, warum Kadaver außerhalb des Badestrandes in Augenschein genommen, gemeldet und dann oftmals liegen gelassen werden. Dann zitiert Markus eine Haltung, die ich auch habe: Nur, wenn man die Natur versteht und kennt, kann man sie lieben und damit auch schützen. Wir müssen verstehen, was für einen Einfluss Strandfunde und damit auch Strandungen auf das System Juist haben, um es zu schützen.



Strandungen auf Juist: Über Strandmüll und Meeresmüll.
Naturschutz ist Menschenschutz
Etwas, das nicht verschwiegen werden kann oder darf, ist natürlich eine andere Art der Strandung: Strandmüll. Immer wieder finde ich am Strand Müll. Leinen, Plastikbecher, ein Schuh, ein Brett. Ca. 60 % des Meeresmülls kommt aus der Seefahrt. Teile von Leinen, Tauen oder Netzen finden sich am Strand. Darin können sich Robben, Möwen und andere Tiere des Meeres sich drin verfangen. Und dabei sterben. Passiert immer wieder.
Markus zum Beispiel erzählt, dass er einen Seehund gefunden hat, bei dem eine Leine so derart fest um den Hals gewickelt war, dass sie eingewachsen ist. Leider. Bei diesem speziellen Tierchen konnte dieses Geisternetz operativ entfernt werden, aber nicht alle Geschichten haben so ein Happy End. Auch Seevögel leiden: Wenn sie tauchen, um Fische als Beute zu erlegen, verfangen sie sich oftmals in solchen Geisternetzen. Und ertrinken.
40 % des Mülls kommt ja auch aus anderen Quellen, als von der Fischerei. Wir alle müssen schauen, dass wir weniger Müll produzieren und weniger von unserem notwendigen Müll dort landet, wo er nicht hingehört. Markus erzählt davon, dass er heute noch immer teilweise Kleidung und Elektrogeräte am Strand angespült findet, die aus einer Havarie von 2018 stammen.
Nicht zu vergessen ist auch, wie lange es mitunter dauern kann, bis Müll aus dem Meer an Küsten strandet und gefunden wird. Müll aus Zuflüssen ins Meer oder aus offenen Deponien (die es ja zum Glück kaum noch gibt) findet sich zum immer am Strand. Markus hat mal eine Getränkedose aus den 70ern gefunden bei einer Müllsammelaktion – So lange war sie unterwegs, bevor sie gestrandet ist!
Landet eine Plastiktüte im Meer, dauert es Jahrhunderte, bis sie sich aufgelöst hat. Und in der Zeit verliert so eine Plastiktüte Mikroplastik. Und dieses Mikroplastik landet zwischen den Sandkörnern an unseren Stränden, auf unserer Haut, wenn wir schwimmen gehen und in den Fischen, die wir konsumieren. Markus fasst es sehr treffend zusammen, wie ich finde: „Wir schaden uns am Ende selbst. Naturschutz ist Menschenschutz“.
Kommen wir aber zurück zu Meeresmüll, der auf Juist angespült wird und dort strandet: Markus führt gemeinsam mit verschiedenen Freiwilligen auf der Insel Strandmüllsammelaktionen durch. So säubern sie nach Stürmen ganze Dünenabschnitte – immer nach den Stürmen im Winter durchkämmen sie die Orte der Insel, die sonst nicht betreten werden dürfen. Eine super Sache, wie ich finde.



Über den Juister Nationalpark-Ranger, Markus Großewinkelmann.
Ich frage Markus ganz langweilig und vorhersehbar über seinen Werdegang und seine berufliche Laufbahn. „Oha, das dauert aber!“, lacht er. Wenn er mir nicht eh schon sympathisch gewesen wäre, wäre das spätestens jetzt der Fall. Markus stammt ursprünglich aus Harsewinkel und hat dort eine Ausbildung als Blumen- und Zierpflanzengärtner absolviert. Danach hat er Landwirtschaft und Umweltschutz studiert. Über Umwege – wie das nun mal so ist – kam er ins Münsterland zur Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen, wo er verschiedene Arbeiten geleistet hat, unter anderem auch als landwirtschaftlicher Berater für Spargelanbau – einer der seltensten Berufe, wie er sagt. In Markus reifte aber die Idee, Ranger zu werden. So hat er nebenberuflich seine Ausbildung als geprüfter Natur- und Landschaftspfleger nachgeholt, denn das war eine Qualifikation, die als Ranger in vielen Nationalparks Pflicht war. Während der letzten Züge seiner Ausbildung wurde die Rangerstelle auf Juist ausgeschrieben, er hat sich beworben und „wurde sogar genommen“, wie er sagt.



Über den Job des Nationalpark-Rangers auf Juist.
Für mich klingt das, als könnte man im Leben niemals wirklich stranden, denn aus jedem Atom in uns erwächst einst neues Leben. Wir sind selbst im Tod ein Teil des großen Ganzen. Und das hat eine ganz eigene Kraft in sich.
„Natur Natur sein lassen“: Markus sagt, ein großer Bestandteil seiner Aufgaben liegt darin, bewusst nicht einzugreifen. Es geht, so erklärt er, darum, der Natur den Raum und die Zeit zu geben, selbst tätig zu werden.
Markus sieht es so, dass er für alles Lebende und Tote auf der Insel zuständig ist. Aber: Wie erfährt er denn von Strandungen überhaupt? Menschen melden sich bei der Gemeinde, bei der Polizei oder dem Nationalpark-Haus, die dann wiederum Markus Bescheid geben.
Der Ranger auf Juist hat quasi diese Bestandteile in seinen Aufgaben:
- Naturschutz und Gebietskontrolle
Der Juister Ranger ist mitunter der einzige Mensch, der überall auf der Insel sein darf, auch in den explizit abgesperrten Bereichen. Diese Erlaubnis nutzt er aber nicht einfach aus Lux und Dollerei, sondern um zu checken, ob alles in Ordnung ist. „Monitoring“ nennt Markus das im Fachjargon.
Wichtig in diesem Bereich ist es auch, dass Markus gezielt Menschen anspricht, die sich nicht an die im der jeweiligen Nationalpark-Zone geltenden Regeln halten (Erholungszone, Zwischenzone, Ruhezone). Markus versucht immer, erklärend, höflich und respektvoll zu sein. Oftmals verstehen die Menschen nicht, dass sie einen Fehler machen oder welche Konsequenzen ihr Handeln hat. Erklärungen, das hat Markus rausgefunden, funktionieren am besten. Wenn man den Nationalpark erleben darf, will man ihn schützen. Wenn man versteht, was man falsch macht, kann man es in Zukunft richtigmachen.
- Bildungsarbeit
Ebenfalls ein wichtiger Bestandteil von Markus‘ täglicher Arbeit ist der Kontakt mit Gästen und Insulaner*innen. Ob bei seinen Sprechstunden, Führungen oder Vogelbeobachtungen, Markus versucht, den Kerngedanken des Nationalparks, „Natur Natur sein lassen“, weiterzugeben. Viel Bildungsarbeit leistet auch das Team des Nationalpark-Hauses und Ranger Markus zeigt sich froh, dass so eine gute Kooperation hier auf Juist stattfindet.
Auch ein Teil seiner Arbeit ist die Begleitung von wissenschaftlichen Arbeiten. Momentan zum Beispiel geht es um „Aasökologie“, also um den Einfluss von Kadavern auf die Artenvielfalt. Kein besonders schönes Thema, finde ich. Markus widerspricht mir da aber recht vehement. Er spricht von einem ambivalenten Verhältnis, das wir Menschen zu Leben und Tod haben. „In der Natur ist der Tod nur ein Teil des Lebens“, sagt er, schlimm für das Individuum, aber hilfreich für das System, denn aus Tod erwächst neues Leben. Für mich klingt das, als könnte man im Leben niemals wirklich stranden, denn aus jedem Atom in uns erwächst einst neues Leben. Wir sind selbst im Tod ein Teil des großen Ganzen. Und das hat eine ganz eigene Kraft in sich.



Strandungen. Strandfunde. Gestrandet sein.
Nach meinem Gespräch mit Markus gehe ich erstmal wieder auf die Arbeit. Aber ein paar Tage später war ich am Strand. Und irgendwie habe ich mit anderen Augen hingeschaut. Vor allem im Winter und im Herbst bei Stürmen und bei starken Fluten werden Dinge auf Juist stranden. Das lässt sich kaum vermeiden. Es ist ein Kreislauf. Als ich also am Strand war, habe ich die Augen bewusst aufgehalten. Es war ziemlich sauber. Keine Kadaver, kein Plastikmüll, den ich erspäht habe. Aber in meinem Kopf brodelt es trotzdem, denn ich weiß, dass selbst die unzählig vielen Sandkörner voll mit Mikroplastik sind, dass unter dem Sand Müll begraben liegt – Und ich hoffe, dass diese gestrandeten Dinge, die nicht in unser Ökosystem gehören, bald zu einer Seltenheit werden und nicht weiterhin Normalität sind.