Surfen auf den Wellen des Lebens
Achtsamkeit auf Juist erleben.
Achtsamkeit ist ein Begriff, der zurzeit in vielen Bereichen enorm an Bedeutung gewinnt. Aber was ist das eigentlich? Wir fragten jemanden, der es wissen muss:
Ronald Vogelsang, selbstständiger Physiotherapeut, Achtsamkeitstrainer und Juist-Freund.
Wenn wir aber lernen, im gegenwärtigen Augenblick zu verweilen ohne ihn zu bewerten oder verändern zu wollen, dann entsteht ein Zustand der Gelassenheit inmitten all der Veränderungen des Lebens. Wir lernen quasi auf den Wellen des Lebens zu surfen.
Juist: Was ist eigentlich Achtsamkeit?
Ronald Vogelsang: Über Achtsamkeit sind viele Bücher geschrieben worden. Eine einfache Formel – für die Definition könnte lauten: „Achtsamkeit ist ein nicht wertendes Gewahrsein des gegenwärtigen Augenblicks“. Auf den ersten Blick eine simple Geschichte. Bei genauerem Hinsehen, oder noch mehr bei dem Versuch „im gegenwärtigen Augenblick zu verweilen ohne die gegenwärtige Erfahrung zu bewerten, zu beurteilen oder verändern zu wollen“, erkennen wir sehr schnell zwei Dinge:
- Unser Geist befindet sich hauptsächlich in der Zukunft oder der Vergangenheit. Wir haben Wünsche, Hoffnungen, Sehnsüchte oder Befürchtungen und Ängste oder wir hängen an Vergangenem fest, können oder wollen es nicht loslassen, bedauern es oder schwelgen vielleicht in Erinnerungen.
- Wir bewerten ständig, teilen alles ein in gut – schlecht, richtig – falsch, angenehm – unangenehm; dies soll immer so bleiben, jenes will ich auf keinen Fall.
Das ist die Natur des Geistes. Wenn wir so die Welt betrachten, dann hat dies Konsequenzen. In den meisten Fällen erzeugen oder verstärken wir unser eigenes Leiden. Das geschieht, weil das Leben sich ständig verändert. Wir werden geboren, werden alt, vielleicht auch krank, machen freudige und traurige Erfahrungen. Das können wir genauso wenig aufhalten, wie wir die Wellen des Meeres aufhalten können. Trotzdem versuchen wir, gegen Dinge anzukämpfen, die wir nicht ändern können. Und genau das erschafft unser Leid. Wenn wir
aber lernen, im gegenwärtigen Augenblick zu verweilen ohne ihn zu bewerten oder verändern zu wollen, dann entsteht ein Zustand der Gelassenheit inmitten all der Veränderungen des Lebens. Wir lernen quasi auf den Wellen des Lebens zu surfen.
Juist: Warum ist Achtsamkeit gerade so ein großer Trend?
Ronald Vogelsang: Achtsamkeit bietet ein notwendiges Gegengewicht zu der immensen Informationsflut, die wir täglich erleben, und zu einer gesellschaftlichen Entwicklung, des „immer mehr, immer schneller“. Das führt zu einem zunehmenden Verlust an Empathiefähigkeit und Mitgefühl. Denn Mitgefühl mit sich und anderen ist ein wesentlicher Bestandteil der Achtsamkeitspraxis. Achtsamkeit ist eine Praxis, die „funktioniert“; was inzwischen auch durch zahlreiche wissenschaftliche Studien belegt worden ist. Viele bekannte Unternehmen bieten Achtsamkeitsprogramme für ihre Mitarbeiter*innen an. Und darum spricht auch der Zukunftsforscher Mathias Horx von einem „Megatrend Achtsamkeit“. Ein Trend also, der in der Zukunft einen gesellschaftsverändernden Faktor darstellen wird.
Juist: Warum ist Juist dafür so geeignet?
Ronald Vogelsang: Juist bietet für mich den idealen Rahmen, um Achtsamkeit zu praktizieren. Wenn ich auf dem Fährschiff sitze, dann ist das für mich, als würde ich den Alltagsballast einfach an Land zurücklassen. Was ich bis jetzt nicht erledigt habe, kann warten. Auf Juist geht es dann mit der Entschleunigung weiter – eine gute Voraussetzung, um Achtsamkeit zu praktizieren. Statt Verkehrslärm, Hufgetrappel und ab und an eine Fahrradklingel, alles geht zwei Gänge langsamer. Und dann natürlich das Meer, der Strand, die Wanderungen über die Insel. Ich brauche eigentlich nichts anderes, als einfach am Meer zu sein und den Wellen zuzuschauen, wie sie kommen und gehen, übrigens ein schönes Sinnbild für das, worum es in der Achtsamkeit geht. Die Natur auf Juist bietet uns eigentlich alles, was wir brauchen. Und die Achtsamkeit kann mir helfen, meine Sinne wieder so zu benutzen, dass ich das Leben auch er-lebe, statt es zu er-ledigen. Außerdem verbinde ich mit dem Thema Achtsamkeit auch das Thema „Wie gehe ich mit der Welt um, in der ich lebe?“. Und gerade hier hat die Insel als Gewinner des Deutschen Nachhaltigkeitspreises 2015 einiges zu bieten.
Ich brauche eigentlich nichts anderes, als einfach am Meer zu sein und den Wellen zuzuschauen, wie sie kommen und gehen, übrigens ein schönes Sinnbild für das, worum es in der Achtsamkeit geht.
