Stille ist die Grundsubstanz für Körper, Geist und Lebenskraft.
Plötzlich wird es still um dich. Allein läufst du durch die Dünen, kein Lüftchen geht, die Sonne scheint, der Himmel strahlt blau, und für einen Moment scheinen auch die Vögel die Luft anzuhalten, das Gezwitscher verstummt, keine Menschenstimmen wehen aus der Ferne herüber, selbst das Meer liegt ruhig da und gibt keinen Mucks von sich.
Und da ist er, unverhofft und plötzlich:
Ein Moment der Stille.
Stille kann mehr sein als die Abwesenheit von Geräuschen. Stille kann zu einem Zustand der Ruhe und Glückseligkeit werden, zu einer inneren Qualität des Friedens. Stille kann ein Moment sein, in dem nichts fehlt. Ein Moment, in dem nur Fülle da ist, auch wenn keine Geräusch zu hören ist. Ein Zustand von Nichts, der auf bizarre Weise nicht beängstigend wirkt. Im Gegenteil.
Viele Menschen suchen nach Stille als Zuflucht vor dem hektischen Tempo des modernen Lebens.
Inmitten des Lärms und der Geschäftigkeit wird die Sehnsucht nach einem Ort der Ruhe, zumindest einmal der Ruhe vom Außen, immer größer. Es gibt sie, diese Orte, an denen jedenfalls manchmal Momente der Stille möglich werden. Juist ist sicherlich einer davon, denn hier fehlt der Lärm der Zivilisation, den die meisten Menschen, besonders die, die in großen Städten leben, schon als normal empfinden.
Laute Geräusche, Gespräche oder Musik stehen an der Tagesordnung in der Stadt, ebenso helle Lichter, oder visuelle Reize. Smartphones, Tablets, Computer und soziale Medien gehören zum Alltag, genauso (unnütze) Gespräche und soziale Interaktionen mit Menschen in unserem Umfeld, die uns zu überfordern drohen.
Das alles wirkt sich auf den viel größeren „Gegner“ von innerer Ruhe aus, und das ist dein Geist.
Freiheit bedeutet: Frei sein von Gedanken, Meinungen und Prägungen.
Angeblich bringt der Geist pro Tag zwischen 60.000 bis 80.000 Gedanken hervor. Interessant dabei: Durchschnittlich 24 % davon sind negative Gedanken, drei Prozent sollen positiv sein, und der ganze Rest hat offenbar keine besondere Wirkung. Wirklich?
Was sagt uns das?
In jedem Fall steht fest, dass wir es mit zwei Schauplätzen zu tun haben, obwohl sie eng miteinander verbunden sind: Einem äußeren und einem inneren Schauplatz. Zu ersterem kannst du leichter Abstand gewinnen, denn du kannst dich zum Beispiel räumlich verändern. Doch deine Gedanken, deinen inneren Schauplatz, den hast du immer im Gepäck.
Vielleicht kennst du das. Weil du Ruhe finden wolltest, hast du eine Reise an einen Ort der vermeintlichen Stille angetreten. Du bist vielleicht nach Juist gekommen, um Ruhe zu finden. Wie es so schön heißt: Um den Kopf freizumachen.
Ist es dir gelungen? Vermutlich bedingt, denn dummerweise lassen sich Gedanken nicht einfach abschalten wie das Licht per Lichtschalter.
Zur Ruhe kommen.
Im Yoga heißt es in der über zweitausend Jahre alten Schrift „Yoga Sutra“:
Yoga ist der Zustand, in dem die Gedanken zur Ruhe kommen. Wenn der Geist still wird, ruht der Sehende in seinem wahren Wesen.
Yoga Sutra
Indem die Gedanken still werden, so die Annahme, erfährt der Mensch seine wahre Natur. Die wahre Natur ist das, was über die Sinneswahrnehmungen hinaus geht. Sie ist frei von all den Ablenkungen, die das geschäftige Außen und das bewegte Innen in Form von Gedanken in Hülle und Fülle mit sich bringen.
Ablenkung ist alles, was deine Aufmerksamkeit von dem abzieht, worauf du sie eigentlich gerade ausrichten willst. Ablenkung verzerrt das Wesentliche, Ablenkung ist das Gegenteil von Fokus. Den jedoch brauchen diejenigen, die ihre wahre Natur erfahren wollen.
In der inneren Stille liegt eine gewaltige Quelle der Kraft und Inspiration.
Schweigen als Vehikel auf dem Weg nach Innen.
In den meisten Weltreligionen und philosophischen Richtungen ist das Schweigen fester Bestandteil der Praxis.
Schweigen ist dabei mehr als nur das Fehlen von Worten, ob sie im Außen gesprochen oder gehört werden, oder sich im Inneren bemerkbar machen.
Schweigen ist der Weg nach Innen.
Schweigen ermöglicht es, den Gedankenfluss in Ruhe zu betrachten.
Schweigen zeigt die Beschaffenheit deiner Gedankengänge.
Schweigen hat zum Ziel, deine Gedanken zu beobachten und sie irgendwann zu durchschauen. Dann, wenn du deine Gedankenströme erkannt hast und bemerkst, dass sie immer gleich beschaffen sind, dass sie aus Erinnerungen und Zukunftsprognosen bestehen, dann kannst du dich allmählich frei machen von ihnen. Dann kannst du in den Moment eintauchen, ohne Ablenkung.
Ist das einfach? Nein. Aber möglich.
Ein Yogalehrer sagte einmal zu uns:
Der Geist ist wie ein kleines Kind, das immerzu spielen will. Ab und zu musst du ihm sagen: Nein, jetzt nicht, jetzt habe ich Wichtigeres zu tun.
Meditation und Schweigen.
Die Meditation ist ein Werkzeug, um deinem Geist immer besser auf die Schliche zu kommen. Schweigend zu meditieren ist wie ein tiefer Ozean der Präsenz, der es ermöglicht, dich selbst und die Welt auf eine völlig neue Art zu erleben.
Studien zeigen, dass meditatives Schweigen tatsächlich physische Veränderungen im Gehirn bewirken kann. Regelmäßige Meditation und Momente der Stille können die Dichte der grauen Substanz erhöhen, die für die Informationsverarbeitung zuständig ist. Gleichzeitig können Bereiche, die mit Stress und Angst verbunden sind, abnehmen. Dies bedeutet, dass Schweigen und Meditation nicht nur den Geist beruhigen, sondern auch positive Auswirkungen auf unsere körperliche Gesundheit haben können.
Zusätzlich trägt Schweigen zu einem gesunden Selbstbild bei. Wenn die äußere Welt für einen Moment ausgeblendet ist, zeigen sich die eigenen Gedankenmuster, Emotionen und Reaktionen. Erkenntnis ist immer der erste Schritt.
Die bewusste Selbstwahrnehmung ist der erste Schritt zur persönlichen Entwicklung und Selbstreflexion.
Vipassana-Meditation:
Schweigend auf dem Weg nach Innen
Ich selbst habe einmal für 10 Tage die Vipassana-Meditation ausprobiert. 10 Tage Schweigen, 10 Tage jeden Morgen um 5 Uhr aufstehen, um den ganzen Tag zu sitzen und zu meditieren, unterbrochen von meditativem Essen in Schweigen und einer täglichen einstündigen Gehmeditation. Um 21:30 Uhr Bettruhe. Das klingt erst einmal nach Hardcore, und das ist auch streckenweise so, doch tatsächlich gehören diese 10 Tage des totalen Rückzugs zu den schönsten und intensivsten Erfahrungen, die ich je erlebt habe.
10 Tage lange haben wir gemeinsam nichts anderes getan, als in jedem Moment – beim Zähneputzen, Essen, Schlafen, Aufwachen, dem Sitzen und Gehen – bewusst Körperempfindungen, Gedanken und Emotionen zu beobachten. Um immer mehr zu erkennen, dass die Natur des Lebens vergänglich ist und sich ständig verändert. Nichts bleibt, wie es gerade ist. Das ist der Fluss des Lebens.
Die Ursprünge dieser Meditationsform reichen zurück zu den Lehren des Buddha vor über 2500 Jahren. Vipassana bedeutet „klare Einsicht“ oder „tiefe Wahrnehmung“ und wurde von Siddhartha Gautama selbst gelehrt, als er nach seiner eigenen Erleuchtung einen Weg fand, anderen zu helfen, um Leiden zu überwinden und Weisheit zu erlangen. Leiden im Buddhismus beginnt immer mit den Gedanken.
Wir sind, was wir denken. Alles, was wir sind, entsteht aus unseren Gedanken. Mit unseren Gedanken formen wir die Welt.
Buddha
Heute wird Vipassana von vielen Menschen auf der ganzen Welt praktiziert, unabhängig von ihrem religiösen Hintergrund. Vielleicht ist es ihre Einfachheit und zugleich tiefgreifende Wirkung, die sie so besonders macht. Im Kern geht es darum, mit klarer Achtsamkeit die Realität des gegenwärtigen Moments zu erleben, ohne Vorurteile oder Anhaftungen. Das ist der Weg zur Selbsterkenntnis, das ist der Weg, um eine tiefere Verbindung zur Realität zu entwickeln.
Meditation kann so zu einer Reise der Selbstentdeckung, des inneren Wachstums und der spirituellen Erkenntnis werden.
Durch die Mediation in Stille kann es gelingen, einen klaren Geist zu kultivieren, inneren Frieden zu finden und Mitgefühl zu entwickeln.
Meditieren ist eine zeitlose Praxis, die in ihrer Einfachheit und ihrer tiefen Bedeutung jeden ansprechen kann, der nach innerer Klarheit und Ruhe strebt.
Ich habe bisher tatsächlich noch nie auf Juist an einer geführten Meditation teilgenommen, doch oft setze ich mich irgendwo ans Meer und sitze eben dort, schweigend, mit geschlossenen Augen, nach innen schauend, ich gehe in die Stille. Mit offenen Augen geht es auch, aber die Verführung der Ablenkung ist größer.
Manchmal höre ich meinen Vipassana-Lehrer sagen:
Vergangenheit verleitet zu Bedauern. Zukunft hat das Potenzial für Sorgen. Der gegenwärtige Moment ist frei davon.
Vielleicht fühlst du dich nach der Lektüre inspiriert, den Weg in die Stille anzutreten.
Allein läufst du durch die Dünen… Juist ist ein guter Ort, um anzufangen, wenn du das möchtest.
Werde zum Lenker und zur Lenkerin deiner Gedanken und lass dich nicht weiter vor den berühmten Karren spannen.
Das Gehirn ist auch nur ein Organ.
So sagte mein Vipassana-Lehrer gerne. Es ist so.
Auf Juist, dem Zauberland, kannst du beginnen, deine Gedanken immer wieder in den gegenwärtigen Moment zurückführen. Denn dort findest du sie, die Stille in dir. Dort, so heißt es, begegnest du deiner wahren Natur.
Der einzige Haken an der Sache ist dieser:
Das gelingt nicht von jetzt auf gleich. Du musst üben und üben und üben. Ein ganzes Leben lang. Aber: Du bist nicht allein. Es geht allen so, die innere Ruhe finden wollen.
Ich finde, das ist allemal ein guter Antrieb. Und du hast ja Juist.