Nimm dir Zeit.

Zeit für deine Zeit

Das Statistische Bundesamt sagt, um das Leben zu Geniessen hast du:

Als Mann

78,3 Jahre

Als Frau

83,2 Jahre

Klingt viel? 

Ist es nicht zwingend, denn wir verbringen ja täglich ca.: 

9 h

im Bett (nicht zwingend nur beim Schlafen)

9,5 h

auf Arbeit, mit Freunden, am Handy oder Freizeit.

3,5 h

mit einkaufen, kochen und essen

2 h

im Transport bzw. „unterwegs“

Faszinierend, oder? In vielen Punkten finde ich mich gar nicht wieder. Aber so ist das ja immer mit dem Durchschnitt. Ich bin garantiert länger pro Tag am Handy und auf der Arbeit, von der Zeit mit Freunden ganz zu schweigen. Aber ich wohne ja auch auf der Insel der kurzen Wege, also kann ich diese theoretischen zwei Stunden „Transport“ ganz anders nutzen.

Andere Statistiken sagen, man befände sich täglich ca. 20 Minuten lang auf dem stillen Örtchen – was in unserem gesamten Leben 3 Jahre sind. Waaaassss?

Ganz gleich, ob das jetzt stimmt oder auch nicht: Was tun wir mit unserer wertvollen Zeit? 

Keine Sorge, das ist eine rhetorische Frage, denn ich weiß es auch nicht.

Zeit ist das, was Uhren messen.

Gábor Paál, SWR Wissen

Eine Sekunde Zeit. 

Soweit, so gut. Das kann man sich vorstellen. Eine Sekunde dauert immer gleich lang. Eine Sekunde ist für jede Person auf der Welt gleich lang. Jeder Mensch kann in einer Sekunde gleich viel erleben und schaffen. Zeit ist also ein Standard, eine Konstante, eine unveränderliche Größe – nach DIN-ISO-zertifiziert, standardisiert, genau messbar, ganz so, wie wir Deutschen das lieben, wenn man mit der Vorurteils-Keule kommt.

Oder?

Nicht so ganz. Albert Einstein hat herausgefunden, dass eine Sekunde nicht immer einer Sekunde entspricht. Ich kratze mir gerade vor meinem Bildschirm den Kopf und beiße mir auf die Lippe, weil ich keine Ahnung habe, ob ich das verstehe, ob das Sinn macht und wie ich das in Worte packen soll. 

Die Zeit in sich schnell bewegenden Körpern vergeht langsamer – So sehr, dass man das messen kann: Wenn eine Uhr in einem Flugzeug unterwegs ist, misst sie ihre Sekunden langsamer, als eine Uhr, die an Ort und Stelle geblieben ist. Nicht so, dass wir Menschen das bemerken würden, aber so, dass die Wissenschaft genau dieses Phänomen messen kann. Krass. 

Weitergedacht: Wenn ich dauerhaft in einem Flugzeug unterwegs wäre, würde ich langsamer altern. Na, wenn das mal kein Ansporn ist, viel zu reisen! Von der Umweltschädlichkeit und der sozialen Isolation mal abgesehen.

So viel zu „Zeit“ als universeller Konstante. Das macht mich gerade ein bisschen kirre, schließlich ist unsere ganze Gesellschaft auf Zeit aufgebaut: Wann wir aufstehen, wie lange wir für etwas brauchen, wann wir einander treffen, wann Fähren fahren, wie wir Erfolg und Effizienz messen … Aber gut, das ist ja nur ein minimaler, für uns Menschen nicht wahrnehmbarer, aber von Geräten messbarer Unterschied zwischen der einen Sekunde in dem schnellen Flugzeug und der Sekunde hier auf dem festen Boden der Tatsachen.

Trotzdem ist es Zeit.

Auch unser subjektives Empfinden sagt, dass Zeit nicht immer gleich ist. Meine Arbeitstage können sich extremst in die Länge ziehen oder auch ganz schnell vorbei sein, je nach dem, was ich so erledigen sollte an diesem Tag. Nicht jedes Jahr kommt mir gleich lang vor. Je älter ich werde, desto kürzer scheint ein Jahr zu sein. Warum? 

Wer hat an der Uhr gedreht?
Ist es wirklich schon so spät?
Schade, dass es sein muss
Ist für heute wirklich Schluss?

Paulchen Panther

Die Psychologie sagt, das habe damit zu tun, dass ein Jahr für verschieden alte Menschen verschieden viel im Verhältnis zum Lebensalter ist. Auch die Erlebnisse, die wir in einem Jahr haben, beeinflussen unser Empfinden der Zeit. Als Kind und junger Mensch erleben wir etwas zum ersten Mal – der erste Zahn fällt aus, die erste Reise, die erste eigene Wohnung, der erste Job … So viel zu erleben und zu verarbeiten, da sind so viele Highlights im Leben, dass die Zeit nur so zu rasen und rennen scheint. Im Alter kommen die ersten Male nicht mehr so häufig vor. Wir gewöhnen uns an das Tempo des Lebens und ein Jahr erscheint uns länger.

Also – im Alter vergeht die Zeit langsamer. Noch ein Grund mehr, finde ich, um genau darüber nachzudenken, was ich so tagein, tagaus, tue oder nicht tue mit meiner wertvollen Zeit.

Und was soll all diese Zeit?

Unsere Gesellschaft liebt Effizienz: Nicht zu viel Zeit mit Dingen verschwenden, die einfacher zu handhaben wären. Was bestimmt einer der Gründe ist, warum ich so ungerne mit Behörden zu tun habe (Stichwort: Steuererklärung). Für mich wirkt es so, als wäre das alles schrecklich ineffizient und aufwendig und wenig zielführend. Ob das so ist? Ich weiß es nicht. Wenn ich einkaufen gehe, versuche ich, die Zeit im Laden so kurz wie möglich zu halten. Wenn ich putze, versuche ich, so schnell und sauber wie möglich zu putzen. Nur keine Zeit verschwenden

Es ist nicht zu wenig Zeit, die wir haben, sondern es ist zu viel Zeit, die wir nicht nutzen. 

Lucius Annaeus Seneca

Verschwenden? Ist das denn wirklich Zeitverschwendung? Meiner Meinung nach: Putzen ist eine dieser Aufgaben, die wir erfüllen, weil wir sie erfüllen müssen. Es muss halbwegs sauber sein, aber mir fallen tausende Dinge ein, mit denen ich meine Zeit lieber füllen würde, als mit Putzen.

Aber einmal zurück zu der Idee der Effizienz: Sollten wir jeden einzelnen Moment mit Effektivität füllen? Sollte es unser Ziel sein, unsere freie Zeit so erlebnisreich und besonders zu gestalten, wie wir können? 

Ich weiß es nicht. 

Eines aber weiß ich: 

Zeit ist wertvoll. Sie ist eines der wenigen Dinge auf der Welt, das wir nicht ersetzen können und das wir uns nicht wiederholen können, wenn es denn einmal vergangen ist. 

Lass dich treiben.

Und jetzt? Na ja, jetzt finde ich, dass es unglaublich wichtig ist, das Beste aus unserer Zeit hier zu machen. Es geht nicht darum, jeden Moment mit Effizienz und Leistung zu füllen, sondern vielmehr darum, diese perfekte Balance zwischen Erfüllung und Entspannung zu zelebrieren. Es geht darum, den Moment zu schätzen und zu achten und zu nutzen – zu nutzen, wie auch immer wir das wollen. Auch ein fauler Morgen im Bett ist gut genutzte Zeit, wenn man sie denn schätzt und respektiert. Mein Körper sagt mir manchmal jetzt laut und sehr entschieden: „Bleib im Bett! Mach Netflix an und mach den ganzen Vormittag über mal einfach gar nichts.“Und das ist gut so! Sicher gibt es einige Menschen, die viel lieber aktiv unterwegs sind, aber ich brauche manchmal diese Zeit, in der ich nichts tue und nichts erlebe und nichts schaffe. 

Zeit ist so wertvoll. Zeit ist etwas, das wir nicht wieder zurückbekommen können, wenn sie einmal vergangen ist. Das macht sie so faszinierend, so besonders und vor allem so kostbar. Daher denke ich, dass wir uns alle viel bewusster für etwas Zeit nehmen sollten. 

Statt Zeitstress beim Kaffeetrinken doch gleich lieber mehr Zeit einplanen und keinen Folge-Termin haben, um diese Zeit mit der Person einem gegenüber auch wirklich nutzen zu können.

Ich denke gerade darüber nach, was ich mit meiner Zeit machen kann – also Wortkonstruktionen in der deutschen Sprache, die mir einfallen. Denn ich liebe Wortkonstruktionen. Ich liebe die deutsche Sprache mit all ihren Eigenheiten und komplizierten Sonderfällen.

Zeit mit den Menschen verbringen, die einem wichtig sind – Sei es beim gemeinsamen Faulenzen, Quatschen, Feiern oder sonst wo.

Zeit mit etwas füllen, das am Ende keinen Wert hat – Mit einer Aufgabe, die doppelt bearbeitet wurde, mit Gedanken, die einen nur unsicher machen …

Die Zeit einfach rumbringen wollen, weil man auf etwas wartet. Ist das nicht viel zu schade eigentlich? 

Es ist für mich der höchste Luxus und eine ziemlich respektvolle Geste, wenn sich jemand wirklich Zeit für mich nimmt. Viele Menschen haben immer so viel zu tun, sind so gestresst und haben viel zu wenig Zeit. Was für ein Kompliment ist es denn dann bitte, wenn sich so jemand wirklich Zeit nimmt für mich und wir einfach in Ruhe quatschen – keine Störungen durch Nachrichten auf dem Handy, kein nervöser Blick auf die Uhr. 

Einfach nur Zeit gemeinsam verbringen. Und jeden Moment genießen, weil dann spielt es keine Rolle, wie viele Sekunden im Flugzeug oder auf der Erde wir miteinander verbringen, denn wir genießen und schätzen und achten diese Zeit. Und genau das will ich mit meiner Zeit tun: Sie nicht nur verbringen, sondern wertschätzen.

Atmen.

Mit der Zeit ist es ein bisschen sowie mit dem Atmen. Die Zeit passiert einfach. Das Atmen passiert einfach. Es sind zwei Konstanten in unserem Leben. Wir zählen Herzschläge, Atemzüge, Sekunden. Zeit ist etwas, das so wertvoll ist. Atmen ist etwas, das so wertvoll ist. Wir zehren daran. Und das ist gut so. Manchmal wünsche ich mir für uns alle, dass wir unsere Atemzüge zählen und im gleichen Moment verstehen, was für ein Privileg es ist, dass wir am Leben sind. Klingt hochtrabend, ist aber so.

Wenn die Zeit kommt, in der man könnte, ist die vorüber, in der man kann.

Marie von Ebner-Eschenbach

Ich hoffe, dass auch ihr die meisten Momente eurer Zeit nicht nur vertreibt oder gar vergeudet, sondern diese Zeit genießt. Ich wünsche euch die Geduld und die Entspanntheit, jeden Moment zu feiern, denn genau dieser Moment kommt nicht zurück. Dieser vergängliche Moment ist so wertvoll!

3 Gedanken zu „Zeit für deine Zeit“

  1. Wie heißt es so schön: All we have is now oder auch paradise now.

    Also Zeit haben, sich nehmen, aber auch mal vertreiben, vergeuden, verschenken, verplempern.

    So habe ich mir jetzt gerade die Zeit genommen, den Beitrag zu lesen, einzutauchen, an Juist zu denken.

    Und ich gönne mir die Minuten, euch zu schreiben, dass ich die Grafik des Beitrags sehr schön finde! Ist mir schon beim letzten Adventskalender aufgefallen.

    Nun freue ich mich auf Weihnachten, da sind wir wieder für zwei Wochen auf der Insel.

    Herzliche Grüße

    Ursula Rensmann

    Antworten
  2. Es ist nicht die Zeit
    die eine Rolle spielt
    sondern die Fähigkeit
    ihr die schönste Melodie
    zu entlocken
    in die sie uns einschwingen will.
    Es bedarf der Erlösung
    von Zeit und Raum
    der ersten Schritte
    Geheimnis der Offenbarung
    Ewigkeit
    Zeitlos
    Vademekum

    Antworten
  3. „Zeit wird wertvoller, je weniger es gibt.“ Das singt Johannes Oerding in einem seiner Songs. Nun, da mein Sohn im letzten Jahr mit 34 Jahren an Krebs gestorben ist, wird es mir erst richtig klar.
    Er hat diese Zeit nicht mehr, aber ich muss sehen, daß ich mir meine Auszeit nehme, wenn ich sie brauche. Nach 3 Jahren hoffen, bangen und beten endlich wieder auf meiner Insel zum Aufatmen, Durchatmen und Auftanken. Ich werde diese wenigen Tage nutzen und mir meine Zeit nehmen, im Bewusstsein, daß es jeden Tag zuende sein kann.

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Julia Findeisen

Julia Findeisen lebt seit 2021 auf Juist. Sie schreibt über ihre absolute Leidenschaft: Genussmomente und Glücksorte. Juist ist für sie zur Heimat geworden.

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