Das Phänomen Spielen.
Letztens.
Ich war letztens am Ostdeich unterwegs. Es war ganz schön windig. Ich hatte Altglas in der einen Hand und alte Klamotten in der anderen. Ich laufe also über den Ostdeich in Richtung Krabbe gegen den Wind, Musik in den Ohren, die Augen wegen dem Wind zusammengekniffen. Es war nicht der schönste Tag mit dem besten Wetter. Aber trotzdem. Gewisse Dinge müssen halt erledigt werden. Das gehört ja zum Erwachsenenleben dazu. Im Kopf habe ich schon ausgerechnet, wie lange es dauern würde, bis ich wieder zuhause bin und dann das Putzen der Wohnung abgeschlossen habe. Danach erstmal einen Tee und ab ans Handy, checken, was die Bekannten, Verwandten und Freund*innen auf dem Festland so treiben.
Wenn einem Organismus eine Aktivität Spaß macht, dann ist sie evolutionär auch sinnvoll.
Thomas Junker
Knapp vor dem Treffpunkt für die Wattwanderungen vom Nationalpark-Haus schaue ich so ins Watt. Niedrigwasser. Kaum Wasser. Dafür herumtollende Vögel, die eine oder andere Pfütze in Sichtweite. Und … Eine Gestalt. Ich komme langsam näher. Es sind zwei Gestalten. Eine größer, eine kleiner. Sie knien am Rande des Deichs an diesen Steinen, die man da sieht. Beide barfuß, die Hosen hochgerollt, die Beine voll mit dunklem Matsch. Erst dachte ich, sie haben eine Krabbe gefunden, dieser Papa und seine Tochter (nehme ich an). Als ich näherkomme, sehe ich, dass sie gemeinsam spielen.
Ich weiß nicht, was sie da spielen. Ich bin auch nicht stehen geblieben, um das herauszufinden, denn schließlich geht mich das nichts an. Aber in diesem Moment fand ich die Szenerie total anrührend. Klingt blöd, ist aber so. Ich war so in meinem vermeintlichen Erwachsenenleben vertieft und gleichzeitig ist da dieser Papa, der mit seiner Tochter total selbstvergessen spielt.
Vielleicht geht es vielen Leuten so: Der Alltag ist manchmal so festgefahren und so voller Routine, dass wir uns selbst viel zu ernstnehmen. Da kommt die Pause vom Alltag gerade richtig, um zu spielen – sei es mit den Kindern, Enkeln, mit Freund*innen oder einfach mal alleine. Und wir verlieren uns in dieser eigentlich so einfachen Aktivität des Spielens. Wir verlieren uns total in diesem Moment. Zumindest ging es diesem Papa und seiner Tochter so. Und wir geben uns selbst viel zu selten so richtig Möglichkeiten, zu spielen und einfach im Moment zu sein. Alleine oder gemeinsam.
Urlaub ist Entschleunigung. Aber Entschleunigung ist nicht immer nur der Strandspaziergang oder der ruhige Tag im Strandkorb, sondern Entschleunigung kann auch der Escape Room oder die Wanderung mit zu erfüllenden Aufgaben und zu beantwortenden Fragen sein.
Denn Spielen ist das Gegenteil von Sorge und von Langeweile.
Julia Trahms, Sebastian Sonntag
Es liegt an uns, wie wir uns erholen und entspannen. Es liegt an uns, wie wir unsere freie Zeit verbringen wollen. Ich für meinen Teil habe diese Exit-Games für mich entdeckt. Ja, ich weiß, die gibt’s schon eine ganze Weile, aber erst vor Kurzem hat mich eine Freundin auf den Geschmack gebracht. Für die, die es nicht kennen: Exit-Games erzählen eine Geschichte und geben Aufgaben, die man lösen muss. Dabei ist man als Team dabei und muss teilweise wirklich unglaublich um die Ecke denken. Es macht total viel Spaß, wenn man gewinnt. Und inzwischen kann ich auch darüber lachen, wenn ich eine Aufgabe nicht lösen kann, weil ich einfach nicht draufkomme.
Sind wir jemals zu alt fürs Spielen?
Kidults:
Die Bezeichnung für Erwachsene, die eine kindliche Leidenschaft für Spiele haben
Für mich klingt das irgendwie herablassend. Fast wie „Nerd“ oder „Geek“ – beides auch übrigens Wörter, die echt verletzend sein können, obwohl ja nichts dabei ist im Grunde, wenn man ein Nerd oder ein Geek ist. Als wäre es schlimm oder seltsam oder sozial einfach nicht verträglich, wenn jemand Erwachsenes gerne Legosets zusammenbaut oder eine Carrera-Bahn zuhause stehen hat. Wo ist denn bitte der Unterschied dazwischen und Spielen auf dem Handy zuhause auf der Couch oder einer Runde World of Warcraft, was heutzutage ja super Mainstream geworden ist?
Aber es geht noch weiter: Auch Mottopartys, Bastelabende oder Spieleabende sind als soziale Aktivität unter Freund*innen total angekommen heute. Zum Glück! Spielen in so einem Rahmen ist was Cooles. Wir treffen unsere Freunde, machen was Kreatives, tun was für unser Gehirn oder unseren Körper, indem wir uns bewegen oder mal aus der Reihe denken.
Spielen schweißt uns zusammen. Wir haben gemeinsam Spaß. Wir fühlen eine Zusammengehörigkeit. Wir sind eine Einheit, auch wenn wir gegeneinander spielen. Es geht um nichts, außer darum, zusammen zu sein.
Das alles tut Spielen für uns:
- Spielen sorgt für mehr Wohlbefinden in uns.
- Spielen baut Stress ab.
- Spielen sorgt dafür, dass wir besser lernen können.
- Spielen erweckt Glücksgefühle in uns.
- Spielen sorgt für mehr innere Balance.
- Spielen liefert uns im Alltagsleben Erfolgserlebnisse.
- Spielen kann einen Flow auslösen und ist damit gut für unsere mentale Gesundheit.
Die Wissenschaft hat übrigens herausgefunden, dass einige Spiele es sogar schaffen, das Gehirn zu verändern. Kein Witz! Beim Spielen werden Areale des Hirns verbunden, die sonst separiert geblieben wären.
Um die zentrale Frage zu beantworten – Sind wir jemals zu alt fürs Spielen? Nein!
Auf vielen Spieleverpackungen steht es ja drauf: Spielbar von Alter X bis 99+. Man ist nie zu alt fürs Spielen. Denn Spielen ist Spaß und Entspannung und das brauchen wir in jedem Alter.
Man ist nie zu alt für etwas: Das ist mir auch aufgefallen vor einiger Zeit. Zum ersten Mal seit Langem habe ich freiwillig wieder ein Gesellschaftsspiel gespielt. Mit meiner Familie. Am Anfang war es komisch, aber dann hat es richtig Spaß gemacht. Ich habe gemerkt, dass ich etwas Eingewöhnungszeit brauchte, aber dann war es wirklich cool, zusammen zu spielen.
Spielen.
Heutiges Spielen.
1990 spielten 75 % der Kinder nach der Schule regelmäßig draußen. Heute sind es noch ca. 25 % der Kinder. Warum? Na ja, das wissen wir wahrscheinlich alle: Es wird zunehmend mehr Zeit drinnen verbracht. Wir konsumieren Medien, statt zu spielen. Wir werden passiver. Wir sind viel online, um Kontakte zu halten oder zu knüpfen, uns zu informieren. Kinder haben heutzutage wohl auch mehr Verpflichtungen nach der Schule: Sportunterricht, Musikkurs, hier ein Termin, da ein Termin. Da bleibt manchmal gar nicht mehr so viel Zeit fürs freie Spielen, wie das vielleicht Anfang der 90er der Fall war. Und noch ein Faktor spielt hinein: Einige Eltern werden immer ängstlicher. Sie sorgen sich um ihre Kinder und mitunter kann es auch sein, dass sie so das freie, selbstverantwortliche Spiel ihrer Kinder unterbinden. Auch wenn sie das vielleicht gar nicht wollen. Oder auch die Arbeit der Eltern spielt eine Rolle: Man sieht das Kind wenig und will die Zeit qualitativ miteinander verbringen. So sind es dann andere Aktivitäten, die man unternimmt gemeinsam, statt so ein Kind alleine spielen zu lassen.
Der Urquell aller technischen Errungenschaften ist die göttliche Neugier und der Spieltrieb des bastelnden und grübelnden Forschers.
Albert Einstein
Familien sind glücklicher, wenn sie gemeinsam spielen: Das hört man immer wieder. Und dennoch ist es so schwer, gemeinsam die Zeit und die Muße zu finden, um zu spielen. Vor allem etwas zu spielen, das allen Spaß macht.
Und irgendwie ist es das, finde ich, was Freizeit so wertvoll macht: Wir sind jenseits aller Verpflichtungen und weit weg von „Müssen“. Wir haben Zeit und Ruhe und Laune, uns mit den Menschen, die wir lieben, zu beschäftigen. Ob es nun gemeinsames Spielen, Ausflüge oder einfach nur zusammen die Zeit „vertrödeln“ ist. Im Urlaub oder am Wochenende oder nach der Arbeit haben wir endlich Zeit, etwas zu tun, das nicht wertschöpfend ist. Wir haben die Muße, uns zu vergnügen. Wenn alle Erledigungen abgeschlossen, die Wohnung geputzt und das Essen gekocht ist, dann ist unsere Zeit gekommen. Vielleicht lernen wir einander beim Spielen ganz anders kennen. Oh, Mama ist ziemlich ehrgeizig beim Spielen, Papa ist kein guter Verlierer, Tante fehlt die Geduld und Onkel kann sich den ganzen Tag mit einem Spiel beschäftigen. So oder so ähnlich.
Genau diese Zeit und genau diese Erkenntnisse sind es doch, die uns stärken als kleine Gemeinschaft. Diese Momente sind es, die uns daran erinnern, wie sehr wir einander und die Zeit zusammen schätzen.
Wir spielen um des Spielens Willen.
Michael Kolb
Wenn ich dich also um etwas bitten darf, dann um dies: Spiele mehr! Nutze deine Freizeit und spiele. Es mag sich wenig aufregend anhören und sicher hast du drölfzig Dinge, die du lieber tun möchtest, statt so richtig ausgiebig zu spielen, aber versuche es einfach mal. Setz dich mit deinen Liebsten hin und spiele. Mit dir passiert etwas. Und Juist ist genau der richtige Ort, um durch vermeintlich kleine Dinge eine große Änderung in deinem Leben zu bewirken. Du wirst es nicht bereuen – versprochen!