Geruch

Geruchsreise.

Ab in die Vergangenheit.

Ein Tag ohne Dufterlebnisse ist ein verlorener Tag.

Aus Ägypten

Im Podcast „SandBankLiebe“ fragt Sandra Lüpkes ihre Gäste, welchen Geruch sie mit Juist verbinden.

Da musste ich aufhorchen. Eigentlich ist es doch meist der Anblick, der vor unserem inneren Auge zu finden ist, der uns emotional macht. Nicht umsonst arbeitet man im Marketing ja so gerne mit großen Bildern und Videos. Eine Aussicht macht etwas mit uns.

Aber da ist noch viel mehr: Ein Bild erinnert uns vielleicht an eine Situation, die wir geliebt haben. Daran, was wie gefühlt haben, was wir erlebt haben, wie wir uns gefühlt haben.

Geräusche erfüllen den gleichen Zweck: Sie geben unserer Erinnerung einen Kickstart und schon erinnern wir uns an eine Situation, die wir erlebt haben. Wenn ich Pferdehufe höre, denke ich natürlich sofort an Juist. Wenn ich ein Pferd sehe, auch.

Im Marketing ist es recht einfach, mit Geräuschen oder Bildern zu arbeiten – Websites, Apps, Social Media, Kataloge, Flyer, Poster … Sie alle geben uns in einer gewissen Umgebung einen Hinweis und schon passiert etwas in unserem Hirn.

Aber … was ist mit unseren anderen Sinnen? Sie haben das gleiche Potential. Ich spüre noch immer unter meinen Fingern, wie sich Robbenfell anfühlt, das in einem Museum mal ausgestellt war, um es zu berühren. Umso mehr Sinne etwas erfahren haben, desto besser merken wir uns Dinge. Deswegen habe ich in der Schule immer meine Zettel mit der Hand geschrieben und mir dann selbst vorgelesen. Ich habe die Worte gesehen und gehört. Ob das geklappt hat? Keine Ahnung, aber ich sehe das gerne positiv.

Riechst du die Natur?

Dieser eine Geruch.

Pflanzendüfte sind wie Klänge der Musik für unsere Sinne.

Aus Persien

Trotzdem ist da noch unsere Nase. Viel zu selten, in meiner Wahrnehmung, sprechen wir über Gerüche.

Gerüche machen so viel mit uns! Sie erinnern uns an längst vergangene Zeiten, an Menschen.

Es gibt einen speziellen Geruch nach feuchten Wänden. Ein Café in meiner Heimat wird, wenn der Rhein Hochwasser führt, immer mal wieder überschwemmt. Das kennen sie schon und räumen immer alles weg. Aber wenn das Wasser kommt und wieder geht, dann bleiben Spuren zurück. Neue Tapeten kommen regelmäßig. Visuell bleibt nichts mehr zu sehen, aber der Geruch bleibt. Es ist kein wunderbarer Geruch, aber für mich ist er einzigartig. Er erinnert mich an Spaziergänge, die mir als Kind super lang vorkamen, an leckere Waffeln und heißen Kakao, an das freudige Bellen von Hunden im Vorbeigehen.

Etwas kann nach nichts riechen. Dennoch riecht es dann ja nicht wirklich nach nichts, sondern einfach nicht unangenehm. Frische Waffeln, heißer Tee, salziges Meer, Ostwind … Die Dinge des Alltags haben einen ganz besonderen Geruch. Und dieser Geruch löst viel in uns aus. Es riecht gut. Nach Zuhause. Nach Erinnerungen.

Geruch - Juist als olfaktorisches Erlebnis
Geruch – Juist als olfaktorisches Erlebnis

Geruchsreise in die Vergangenheit.

Am Abend duftet alles, was man gepflanzt hat, am lieblichsten.

Johann Anton Leisewitz

Ein Geruch, der mich zurück in meine Kindheit katapultiert, ist …

Na, was würdet ihr sagen? Ein Vanilleeis, der Geruch nach frisch gemähten Wiesen, der Bauernhof der Großeltern, die salzige Luft am Meer, das Parfüm der Oma?

Für mich ist es der Geruch nach warmem Leder und nach abgestandener Luft, wenn man ins Auto steigt. Eine ganz spezielle Mischung, leicht scharf, sehr einprägsam. Warum? Weil, wenn es ins Auto ging an warmen Tagen, war der Weg ins Freibad nicht weit. Noch besser war es aber, wenn es in den Urlaub ging. Neue Freundschaften schließen, lange ausschlafen, frühstücken, rumrennen, im Meer baden … Das ist die Kindheit, an die ich mich erinnere. Noch immer, wenn ich heute in ein Auto mit Ledersitzen steige, das lange in der heißen Sonne stand, steigt mir dieser Geruch in die Nase und ich fühle mich wie im Urlaub, wie als aufgeregte kleine Julia, die breit grinsend auf dem Rücksitz im Auto sitzt, durch die Scheiben auf die Welt schaut. Auf der Autobahn die Regentropfen vorbeiziehen sieht, die aufs Fenster pustet und in die Feuchtigkeit da Smileys malt, die Hunde in Autos zählt, die begeistert mit Mama und Papa Kennzeichen raten spielt und die heute immer noch der festen Überzeugung ist, dass „WAF“ auf dem Kennzeichen für Waffelhausen steht – weil es damals keiner von uns dreien im Auto besser wusste und sich das Internet noch nicht so durchgesetzt hatte, dass man das schnell mal gegoogelt hätte. Da wird mich auch niemand vom Gegenteil überzeugen können. Die Leute mit dem Kennzeichen „WAF“ am Auto kommen aus Waffelhausen. Punkt.

Aber zurück zu den Gerüchen: Dieser Geruch meiner Kindheit nach Ledersitzen und abgestandener heißer Luft im Auto ist unabänderlich mit Urlaub und Freiheit verbunden. Ich weiß dann wieder genau, wie sich die langen Fahrten an die See angefühlt haben, wie ungeduldig ich war, wie oft ich gefragt habe „Sind wir bald da? Sind wir noch in Deutschland?“ (auch wenn wir gerade mal die eigene Straße verlassen hatten), wie sehr ich mich gefreut habe, wie toll ich das fand.

Und das zeigt doch schon, was für ein Potential Gerüche haben, um uns zu begeistern!

Der Geruchssinn.

Düfte sind die Gefühle der Blumen.

Heinrich heine

Während ich also Recherche betrieben habe für diesen Artikel, bin ich über einen Fakt gestolpert, der mir im Kopf hängen geblieben ist: Menschen mit schlechtem Geruchssinn haben ein höheres Sterberisiko bei Alzheimer oder Demenz. Mein erster Gedanke: Das habe ich falsch gelesen. Mein zweiter Gedanke: Ob die Studie wirklich gut durchgeführt war? Das kann ich natürlich nicht genau prüfen, aber irgendwie macht das Sinn, dieser Gedanke. Unser Geruchssinn übermittelt Erinnerungen, verbindet Momente.

„Unser Geruchssinn ist der einzige, der direkt mit dem Emotionszentrum unseres Gehirns verbunden ist.“, sagt Rachel Herz, Gehirnwissenschaftlerin. Was bedeutet das also? Für mich ist es klar: Diejenigen Erinnerungen, die durch Gerüche ausgelöst werden (wie meine Kindheitserinnerung an heiße, stickige Lederluft im Auto), oder diejenigen Erinnerungen, in denen Gerüche eine Rolle spielen, erleben wir besonders intensiv. Die haben einen höheren Stellenwert, als rein visuelle Erinnerungen.

Wissenschaftlerin Rachel Herz setzt nach: „Menschen ohne Geruchssinn gehen die emotionalsten Erinnerungen verloren.“ Aber auch in der Literatur ist es bekannt, dass Gerüche starke, intensive Erinnerungen auslösen: Nach Schriftsteller Marcel Proust wurde der Proust-Effekt benannt. In seinem Buch „Die verlorene Zeit“ erlebt der Protagonist eine ganz intensive Erinnerung, die ihn nicht mehr loslässt, als ein Gebäckstück in Tee getaucht wird und ihm dieser Geruch in die Nase steigt.

Riechst du die salzig-frische Seeluft?

Der Geruch des Heute.

Wenn ich heute durch die Weltgeschichte gehe, rieche ich meistens nichts. Also natürlich rieche ich etwas, aber es fällt mir nicht groß auf. Es riecht weder besonders gut, noch besonders schlecht. Also merke ich mir das nicht.

Erst, wenn mir der Geruch nach Pferd in die Nase steigt, ändert sich meine Meinung und ich werde fast automatisch zurück katapultiert in den Moment, in dem ich hier das erste Mal ganz bewusst Pferd gerochen habe, frisch auf der Insel, gerade am Flugplatz angekommen, statt einer Regenjacke in meinen hübschen, grauen Wollmantel eingepackt. Es war der 29.10. und ich war voller Neugier auf diese Insel. Ich erinnere mich genau daran, weil mein erster Arbeitstag der 01. November war und das in NRW – meiner Heimat – ein Feiertag ist. Jedenfalls stieg mir beim Rausklettern aus dem Flugzeug (Übrigens: ich schreibe mit Absicht „klettern“ und nicht „steigen“) der Duft nach salziger Meeresluft und Kerosin in die Nase, nach Freiheit und nach Pferden, die an der Haltestelle warteten. So erinnere ich mich jedenfalls daran. Es war ein kalter und windiger Tag, typisch für Ende Oktober, sonnig, aber trotzdem unangenehm. Zuerst zumindest. Ich erinnere mich auch ganz genau an den Geruch in der Kutsche auf dem Weg vom Flugplatz in den Ort. An die anderen Mitfahrenden und an das Getrappel der Pferdehufe. Ich erinnere mich an all das und, während ich das hier so tippe, steigt mir der Geruch nach Pferd in die Nase. Und das nicht, weil mein Bürofenster offen steht und unten die Pferdekutschen entlangtrappeln.

Für mich war es am Anfang, wie es für einige von Sandra Lüpkes Interviewpartner*innen im Podcast „SandBankLiebe“ ist:  Juist roch am Anfang nach Pferden und Meer. Frisch und natürlich. Unverstellt und nach Provinz – im Guten. Heute ist das anders. Heute rieche ich den Sand und die Fähren, das Watt bei Niedrigwasser und bei Hochwasser, der frisch gemähte Deich (der leider bei nicht wenigen Allergien auslöst – so auch bei mir).

Und das ist gar nicht mal so schlimm: Erinnerungen und Wichtigkeiten ändern sich. Aber immer weiß ich, dass die Gerüche, die mir in die Nase steigen, mit Erinnerungen und Momenten verknüpft sind, an die ich mich noch lange intensiv erinnern werde. Vielleicht riecht Juist nicht länger nach dem, was die Insel in den Augen vieler ausmacht. Aber diese Sandbank riecht immer noch nach Juist für mich. Sie riecht nach über zweieinhalb Jahren Erinnerungen, die nicht immer nur gut waren.

Zum Abschluss erlaube mir eine letzte Frage: Wie riecht Juist für dich? Und welcher Geruch löst in dir eine intensive Erinnerung aus? Verrat es mir in den Kommentaren!

Was ist der Geruch von Juist für dich?Schreibe deine Gedanken:

Julia Findeisen

Julia Findeisen lebt seit 2021 auf Juist. Sie schreibt über ihre absolute Leidenschaft: Genussmomente und Glücksorte. Juist ist für sie zur Heimat geworden.

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